Gnade vor Recht. Dank Reformation.
Juristisch galt dieser Grundsatz schon immer.
Seit der Reformation gilt er auch zwischen Gott und seinen Menschen. Gott ist zugewandt dem Menschen, der ihm vertraut. Gnädig heißt: liebend zugewandt sein trotz aller Gründe, die dagegen sprechen. ihm vertrauen heißt: zu glauben, dass alles Leben, auch meines, von Gott kommt und von ihr gehalten wird und dass ich von Gott ausreichend Mittel erhalten habe, Leben in seinem Sinne zu gestalten. Für uns Menschen können wir z.B. so übersetzen: Großzügig sein anstelle von Recht haben. Wie oft ginge es damit uns und anderen besser! Ingo Gutzmann Der Begriff der Gnade nimmt in diesem Zusammenhang seine volle Bedeutung an: Es gefällt Gott, der im Römerbrief mit einem souveränen Töpfer verglichen wird, aus dem Tonklumpen hin und wieder ein wohlgeratenes Gefäss zu erzeugen, das er dem haltbaren Bestand beifügt, indessen ihm viele Gefässe misslingen. Die wirft er zurück in die formlose massa perditionis. Bei diesen Vorgängen darf nicht die geringste Wechselwirkung zwischen Gottes Entschlüssen und menschlichen Leistungen zugestanden werden.
Peter Sloterdijk, Glaube, Fegefeuer des Zweifels, in: Neue Zürcher Zeitung, 2.10. 2016 https://www.nzz.ch/feuilleton/luther-und-die-folgen-glaube-die-hoelle-des-zweifels-ld.119711 |